KZ Sachsenburg

8. Juni 2008 – Gedenkveranstaltung beim ehemaligen Konzentrationslager Sachsenburg zur 75. Wiederkehr des ersten Lagerappells

Rede des MdB Detlef Müller, Chemnitz

[ es gilt das gesprochene Wort ]
Detlef Müller, MdB
Detlef Müller, MdB

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

Zuallererst möchte ich mich ganz herzlich für die Einladung bedanken und für die Gelegenheit, hier – zusammen mit Ihnen – der im Konzentrationslager Sachsenburg inhaftierten Sozialdemokraten zu gedenken.

„Die Stunde ist ernst. Mord und Totschlag rasen durch Deutschland.“ Das sagte Bernhard Kuhnt, der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete von Chemnitz am 26.  Februar 1933 auf einer Kundgebung der Eisernen Front vor 15.000 Menschen in Chemnitz.

Da war die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ (die sogenannte „Reichstagsbrandverordnung“) vom 28. Februar 1933 noch gar nicht in Kraft. Ihr Ziel war angeblich die „Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“, doch ging sie weit darüber hinaus. Politische Gegner wurden ohne Anklage und Beweise in gerichtlich nicht kontrollierbare „Schutzhaft“ genommen. Unter ihnen war im März 1933 auch Bernhard Kuhnt.

In einem Zeitungsartikel vom 9. Mai 1933 heißt es „Der Name [Schutzhaft] ist heute in aller Munde Sie wird ohne Richterspruch auf dem Verwaltungswege angeordnet. Wie schon der Name besagt, dient die Schutzhaft dem Schutze, und zwar dem Schutze der festgenommenen Person vor anderen, die sie gefährden, oder aber dem Schutze der bedrohten Gesellschaft vor dem Festgenommenen.“
Am 20. März ließ Heinrich Himmler mit Dachau das erste Konzentrationslager errichten. In den „Vorläufigen Bestimmungen über die Errichtung und Verwaltung von Konzentrationslagern und Arbeitsdienstlagern des Landes Sachsen“ vom April 1933 heißt es:
„In die Konzentrationslager sind alle diejenigen Schutzhäftlinge zu überführen, die sich als Schädlinge am deutschen Volkskörper erwiesen haben und deren Sinnesänderung insoweit aussichtslos erscheint.“

Situation in Sachsen 1933
Ende Juli 1933 befanden sich im Deutschen Reich knapp 27.000 Personen in „Schutzhaft“, Sachsen stand dabei mit 4.500 „Schutzhäftlingen“ an dritter Stelle hinter Bayern und Preußen.

In Sachsen entstanden bis zum Sommer 1933 mehr als 20 improvisierte Haftstätten. Neben Sachsenburg erlangten die Burg Hohnstein in der Sächsischen Schweiz, Schloss Osterstein in Zwickau und Schloss Colditz traurige Berühmtheit.
In Sachsen, das lediglich 3 % der Fläche und 8% der Bevölkerung des Deutschen Reiches ausmachte, gab es mehr als ein Fünftel aller insgesamt etwa 100 frühen KZs.

Die Gründe für diese verhältnismäßig hohe Anzahl von frühen KZs mögen darin liegen, dass das „Rote Sachsen“ eine Hochburg der Arbeiterbewegung war, mit gut organisierten Parteien und Unterorganisationen, gerade die SPD war in Sachsen enorm stark. Die wirtschaftliche und soziale Situation Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre verschärfte sich in unserer Region ganz besonders, und damit auch die politischen Konflikte.

Die Situation in Chemnitz Anfang 1933 – ein paar Schlaglichter

Am 9. März wurden die öffentlichen Gebäude durch die SA besetzt (Rathaus, Amtshauptmannschaft etc.), der Geschäftsführer und Inhaber der Druckerei der SPD-Zeitung „Chemnitzer Volksstimme“, Georg Landgraf, wurde dabei von der SA erschossen.

Am 11. März berichteten die Zeitungen von der Festnahme des Chemnitzer Stadtverordneten Dr. Kurt Glaser und des Reichstagsabgeordneten Bernhard Kuhnt, die beiden SPD-Politiker wurden – neben einigen anderen (etwa Heinz Wesche, Stadtverordnetenvorsteher der KPD) – bei der als „Chemnitzer Osterwäsche“ bzw. „Dreckwaschen“ bekannt gewordenen Aktion dazu gezwungen, Wahlplakate und Losungen der Reichstagswahl am 5. März abzuwaschen, angeführt wurde die Aktion vom SA-Marinesturm Chemnitz.
Am 23. März 1933 wurde Kuhnt öffentlich vorgeführt: Zwei SPD-Stadtverordnete zogen eine Kohlenkarre, auf die der „Novemberverbrecher“ Bernhard Kuhnt gezwungen wurde (er war 1918 einer der Hauptakteure der Novemberrevolution in der Großregion Wilhelmshaven – Oldenburg und erster Ministerpräsident des „Freistaates Oldenburg“). Von dieser Aktion gibt es Fotos, die von der SA als Postkarten verkauft wurden. Von 1924 bis 1933 gehörte der gebürtige Leipziger Kuhnt als SPD-Abgeordneter des Wahlbezirks Chemnitz dem Reichstag an. Seit 1926 war er Vorsitzender des SPD-Unterbezirkes Chemnitz. Vom 9. März 1933 bis zum 20. Juli 1934 befand sich Kuhnt in Schutzhaft, die ersten Wochen in Chemnitz, später in verschiedenen Konzentrationslagern, wahrscheinlich auch in Sachsenburg. 1935 übersiedelte er nach Berlin. 1945 war er wiederum im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Kuhnt überlebte die Verfolgungen, starb jedoch bereits im Januar 1946 im Alter von knapp 70 Jahren in Westensee bei Kiel.

Der 1892 in Zittau geborene jüdische Arzt Dr. Kurt Glaser war 1923 nach Chemnitz gekommen, wo er als Dermatologe praktizierte. Seit 1930 war er sozialdemokratischer Stadtverordneter. Seine Politikfelder waren Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch Kulturpolitik. Er wurde von der SA öffentlich in Chemnitz bei der sog. „Osterwäsche“ gedemütigt und am 10. März verhaftet. Von März bis September 1933 war er im KZ Sachsenburg inhaftiert, 1934 floh Glaser nach Frankreich, schrieb für Exilzeitschriften wie die „Sozialistische Warte“, den „Aufbau“ und war 1934-39 Vorsitzender der Pariser Gruppe des RSD (Arbeitskreis revolutionärer Sozialisten). Ab 1940 waren die nächsten Exil-Stationen Spanien, Portugal, Kuba und New York. Dort arbeitete er als Journalist und Sozialarbeiter und wurde Mitglied im „Council for a democratic Germany“ (Exilorganisation, gegründet am 3. Mai 1944 in New York.) Auf Bitten der SPD kehrte er 1948 nach Deutschland zurück 1949 bis 1952 war er Regierungsdirektor in Schleswig-Holstein, dann bis 1957 Präsident der Behörde für Gesundheitswesen in Hamburg, zudem Vertreter der Bundesrepublik bei der Weltgesundheitsorganisation. Er starb 1982 im Alter von 90 Jahren in Hamburg.

Situation der SPD
Ab Mai 1933 wurde die SPD massiv unter Druck gesetzt, das Vermögen von SPD und Reichsbanner wurde beschlagnahmt, am 22. Juni, in Sachsen am 23. Juni, wurde die Partei offiziell verboten, doch wurden, wie gerade deutlich wurde, bereits vorher lokale Funktionäre, Stadtverordnete und sonstige aktive Parteimitglieder verfolgt und in „Schutzhaft“ genommen.

Die Chemnitzer Stadtverordnetenversammlung am 16. März fand nicht mehr statt. Am 10. März führte die Chemnitzer NSDAP in Eigenregie eine außerplanmäßige Stadtverordnetenversammlung durch, mit umfangreichen Straßenumbenennungen und der Ernennung von Hitler und Hindenburg zu Ehrenbürgern. Die neu zusammengestellte Stadtverordnetenversammlung am 4. Mai, der offiziell noch 15 SPD-Verordnete angehörten, war bereits kein demokratisches Gremium mehr, und ab dem 23. Mai waren die Stadtverordneten im Kollegium nur noch NSDAP-Mitglieder.

Ein SPD-Stadtverordneter,  Albert  Jentzsch, hatte sich noch aus der Schutzhaft im Polizeipräsidium Chemnitz in einem Brief an den Oberbürgermeister für die Sitzung am 5. Mai entschuldigt. Vier Chemnitzer SPD-Stadtverordnete  schrieben aus „Sachsenburg, Internierungslager (Schloß)“ am 5. Mai 1933 an die Stadtverordnetenkanzlei eine „Entschuldigung“ dafür, dass sie nicht an der Sitzung am 4. Mai teilnehmen konnten, was in der Presse, dem „Chemnitzer Tageblatt“ vom 5. Mai so berichtet wurde: „Dem Bericht nach muß angenommen werden, daß die sozialdemokratischen Stadtverordneten aus Nachlässigkeit der Sitzung fern geblieben sind. Unterzeichnete sozialdemokratische Stadtverordnete stellen fest, dass sie sich seit 26.4.33 in Schutzhaft befinden und demzufolge nicht an der Eröffnungssitzung teilnehmen konnten. Wir bitten dies nachträglich als Entschuldigung anzuerkennen und das Kollegium davon in Kenntnis zu  setzen. Hochachtungsvoll die Stadtverordneten Walter Breitfeld, Erich Müller, Ernst Uhlich, Walter Klostermann.“

Albert Jentzsch, zeitweilig auch Redakteur der „Chemnitzer Volksstimme“ war ab 1944 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Er überlebte die Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Von 1946 bis 1950 saß er wieder im Stadtverordnetenkollegium und setzte sich vor allem für den genossenschaftlichen Wohnungsbau in Chemnitz ein. 1949 wurde er zum Betriebsleiter Wohnungswirtschaft berufen. Dieses Amt bekleidete er bis zu seiner Pensionierung zwei Jahre später. Er starb 1954 in Karl-Marx-Stadt.

Auch die amtierenden oder ehemaligen SPD-Stadtverordneten August Friedel, Fritz Schmidt, Eugen Fritsch (1933 Landtagsabgeordneter, zuerst KZ Schloss Osterstein/Zwickau, am 9. November 1933 im KZ Hohnstein „auf der Flucht erschossen“), Guido Görner (1944 KZ Sachsenhausen), Robert Müller (1944 KZ Sachsenhausen), Arthur Strobel (mehrmals in KZ-Haft, starb kurz nach Kriegsende an den Folgen der Haft) und Oskar Weise (1944 KZ Sachsenhausen) wurden für kürzere oder längere Zeit in Konzentrationslagern inhaftiert.

Lassen Sie uns zusammen einige weitere Einzelschicksale betrachten und den Opfern Namen geben.

Als Bundestagsabgeordneter und als Stadtrat von Chemnitz geht mir das Schicksal meiner Parteigenossen und Amtsvorgänger natürlich besonders nahe, sie stammten aus dieser Region und sie wirkten zumeist hier – und hier, an diesem Ort, waren sie inhaftiert. Deswegen möchte ich heute und hier zusammen mit Ihnen ihrer Schicksale gedenken.

Über die Anzahl der Todesopfer im KZ Sachsenburg gibt es keine gesicherten Angaben, manche sprechen von 11, nach anderen Quellen sind es 14, aber es sind sicherlich mehr. Außerdem: Wie viele ehemalige Häftlinge kurz nach ihrer Entlassung an den erlittenen Misshandlungen starben, ist nicht mehr nachvollziehbar. Von August 1934 bis Ende 1935 sollen nach geschätzten Angaben eines ehemaligen Häftlings etwa 20 Häftlinge zu Tode gekommen sein (AIZ-Artikel 17.6.1936, Hugo Gräf).

Der bekannteste und am besten dokumentierte Todesfall ist die grausame Folterung und Ermordung von Dr. Max Sachs im Jahre 1935. Ihn hat mein geschätzter Parteigenosse, der ehemalige Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, Dr. Cornelius Weiss, bereits bei einer Gedenkfeier vor einigen Jahren (2005) gewürdigt, deswegen nur ein paar kurze Worte. Ein Jude und Sozialdemokrat, der sich als öffentliche Person und als Redakteur der „Dresdner Volkszeitung“ offen gegen das neue Regime wandte, bot viel Angriffsfläche. Kurt Kohlsche, von 1935 bis 1936 in Sachsenburg inhaftiert, beschreibt Sachs als „2 ½ Zentner schweren“ Mann,  an  dem  „tagtäglich,  aufgrund  seiner  Erscheinung,  die  unglaublichsten  sadistischen Gemeinheiten begangen“ wurden. Am 5. Oktober war Max Sachs tot, die offizielle Version lautete „Herzschlag“.

SPD-Reichstagsabgeordnete, die in Sachsenburg inhaftiert waren, gab es einige:
Arno (Friedrich) Bruchardt, geboren 1883 in Leipzig, Reichstagsmitglied von 1920-24 für USPD und SPD, Gemeindevertreter und Vorsitzender des USPD-Bezirksvorstands in Chemnitz; 1920 Redakteur der „Volksstimme“ in Chemnitz, seine späteren Wirkungsorte waren u.a. Saarbrücken, Eisenach und Leipzig.
Er wurde am 27. Januar 1934 verhaftet, befand sich zunächst im Amtsgefängnis Frankenberg, dann im KZ Sachsenburg, später im Amtsgefängnis Chemnitz, von 1935 bis 1937 war er erneut im KZ Sachsenburg. Haftgrund war „Hochverrat“.
Erwin  Hartsch, geboren 1890 in Jugelsburg, war Volksschullehrer in Mylau (Vogtland); Stadtverordneter und stellvertretender Bürgermeister, zeitweise Stadtverordnetenvorsteher bis 1933 in Mylau, 1926-32 Landtagsabgeordneter in Sachsen, 1930-1932 Sekretär der SPD-Landtagsfraktion und Schriftführer des sächsischen  Landtages. Von 1932 bis 1933 war er Reichstagsabgeordneter für den Bezirk Chemnitz-Zwickau.
Von Mai 1933 bis November 1934 war er in den KZs Reichenbach, Osterstein, Colditz und Sachsenburg  inhaftiert. 1948 wurde er Minister für Volksbildung in Sachsen, kurz darauf erkrankte er schwer und starb noch im selben Jahr.
Hugo  Saupe, geboren 1883 in Reudnitz; Mitglied der USPD, dann SPD; Redakteur der „Tribüne“ in Erfurt; 1921-1933 Redakteur der „Leipziger Volkszeitung“, Reichstagsabgeordneter für Leipzig.
Im März 1933 wurde er inhaftiert, von Juni bis Juli 1933 war er im KZ Sachsenburg. Weitere Haftzeiten folgten. Nach 1945 war er Redakteur in Halle a. d. S.; 1946 wurde er Mitglied der SED; Hugo Saupe starb 1957.
Alwin  Brandes, geboren 1866 bei Zittau, SPD-Reichstagsabgeordneter von 1919 bis 1933, 1933 kam er mit 67 Jahren in Schutzhaft, er wurde aus einem Berliner Gefängnis nach Sachsenburg gebracht, im Juli 1933 entlassen, später kam er immer wieder in Haft, von Januar 1936 bis Oktober 1937 war er in den Untersuchungsgefängnissen Dresden und Berlin-Moabit. Nach 1945 war er Vorsitzender der SPD in Berlin-Karolinenhof und Bezirksverordneter und Bezirksverordnetenvorsteher in Berlin-Köpenick. Alwin Brandes starb 1949.

Auch SPD-Landtagsabgeordnete wurden Opfer politischer Verfolgung. Am 23. Mai 1933 war Landtagssitzung: Auch hier fehlten, wie im Reichstag, inzwischen die KPD-Abgeordneten, auch hier stellten sich couragierte SPD-Abgeordnete den Nazis entgegen. Von den 22 sozialdemokratischen Parlamentariern waren fünf jedoch bereits  im tschechoslowakischen Exil, elf befanden sich in Haft. Die übrigen sechs kamen trotz massiver Drohungen zur Sitzung. Fraktionsgeschäftsführer Otto Nebrig nutzte diese letzte Chance, um öffentlich die Freilassung inhaftierter Sozialdemokraten zu fordern und rief den Nazis zu:
„Wir glauben nicht, dass die sächsische Regierung die Mitarbeit der vom Volke gewählten Vertrauensmänner entbehren kann.“ Er forderte die sächsische Regierung auf, die inhaftierten sächsischen Landtagsabgeordneten Liebmann (Hermann Liebmann seit 1926 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, ehemaliger Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident von Sachen, Redakteur der Leipziger Volkszeitung, er starb 1935 an den Folgen der brutalen Misshandlungen im KZ)
Sander
Ebert
Dittrich
Müller-Planitz
Güttler
Herrmann
Kuhn
Siegnoth
und
Tempel
„zum Zwecke der Teilnahme an den Landtagsarbeiten“ freizulassen.

Doch vergeblich: Im Juni wurde Otto Nebrig selbst in Sachsenburg inhaftiert, er kam erst im August 1933 wieder frei. Als Fraktionsgeschäftsführer der SPD stand er ganz besonders im Fokus der Nazis. Otto Nebrig überlebte das NS-Regime, gründete 1945 erneut die SPD-Ortsgruppe in seiner Heimatgemeinde Lützschena und wurde dort Vorsitzender (ebenso wie nach 1946 in der SED). 1947 zog er sich desillusioniert aus der SED wegen politischer und gesundheitlicher Probleme zurück, blieb aber noch bis 1950 Abgeordneter im Gemeinderat und im Kreistag Leipzig-Land. Er starb hochbetagt am 8.3.1969.

Der Vater des Dramatikers Heiner Müller, Kurt Müller (1903-1977), aus Eppendorf, Mitglied der SAP, war 1933 in Sachsenburg inhaftiert. Er wurde nach dem Krieg Bürgermeister von Frankenberg, 1951 ging er mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn in die BRD. Heiner Müller blieb in der DDR.

Wie am Schicksal von Otto Nebrig und Kurt Müller deutlich wird: Für viele während der NS-Zeit verfolgte Sozialdemokraten hörte die politische Verfolgung nach 1945 keineswegs auf. Wer sich gegen die Vereinigung von SPD und KPD zur neuen Einheitspartei SED stellte, gerade in Sachsen, wo die SPD so stark war, der wurde unter Druck gesetzt.

So z.B. Arno Haufe, geboren 1884, ehemaliger Redakteur der „Chemnitzer Volksstimme“, führendes Mitglied des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, seit 1933 war Haufe mehrfach im KZ. Wegen Kritik an der Zwangsvereinigung von SPD und KPD wurde er 1948 seiner Ämter enthoben und wegen „Sozialdemokratismus“, d.h. Kontakten zu den Ostbüros der SPD und Widerstand gegen die Bolschewisierung der SED, zu 25 Jahren Zwangsarbeit in einem sibirischen Gulag verurteilt. Er wurde 1956 nach Westdeutschland entlassen und starb 1962 in Hessen.

Auch der Chemnitzer Schulreformer und SPD-Stadtverordnete Moritz Nestler, geboren 1886, wurde wegen „Hetze gegen die Sowjetunion“ von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, er floh nach seiner Entlassung 1956 in die BRD und starb 1976.

Die SPD war im Osten Deutschlands 67 lange Jahre von der demokratischen Mitwirkung in Staat und Gesellschaft ausgeschlossen. So gingen die sozialdemokratischen Traditionen selbst in den ehemaligen Hochburgen Thüringen und Sachsen verloren. Erst 1989/1990 konnte die sozialdemokratische Partei im Osten Deutschlands neu beginnen.

Gedenken_KZ Sachsenburg_PublikumMeine sehr geehrten Damen und Herren,

wir haben Daten und Fakten, erschütternde Berichte, Filme und Bücher. Aber die Begegnung mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kann man nicht ersetzen, weil sie eine viel größere Nähe und Einfühlung erzeugt als jedes Dokument. Die Verfolgten, die überlebt haben, haben Bewundernswertes geleistet. Immer und immer wieder haben sie berichtet, was sie gesehen und erlebt hatten. Doch solche Begegnungen sind immer weniger möglich.

Ich bin der festen Überzeugung, dass der einfache Satz von Primo Levi, einem Überlebenden von Auschwitz, wahr ist: „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen.“ Denn das, was man sich nicht vorstellen konnte – niemand konnte das zuvor und mir fällt es heute immer noch schwer -, das war bittere Realität. Deswegen darf das Gedenken mit dem Verschwinden der Zeitzeugen nicht aufhören.

Gerade deswegen gestatten Sie mir noch ein paar abschließende Bemerkungen zum Erinnern an die Konzentrationslager in Sachsen: Schloss Sachsenburg, Burg Hohnstein, die Augustusburg und Schloss Colditz, klangvolle Namen, schöne Ausflugsziele – doch wer denkt dabei heute an das Jahr 1933 und an Konzentrationslager? Wahrscheinlich fast niemand. An diesen Orten gibt es entweder gar nichts oder nicht viel, das erinnert, und noch weniger, das darüber informiert, was dort geschah.

Es wäre wirklich wünschenswert, wieder eine Ausstellung oder sogar eine Gedenkstätte zu haben, die sich mit dem ehemaligen KZ Sachsenburg befasst. Das Mahnmal ist ein Ort des Gedenkens, doch es reicht nicht aus, da es keine Informationen bietet. Hier erinnern sich nur die, die bereits wissen, was hier geschah.

Immerhin war Sachsenburg (neben Burg Hohnstein in der Sächsischen Schweiz) das wichtigste frühe KZ  in Sachsen und das Lager, das am längsten bestand, zwischen 1934 und 1937 auch das einzige – erst gegen Kriegsende (mit Vorrücken der Alliierten wurden zahlreiche Lager verlegt, v.a. ab Ende 1944) wurden in Sachsen wieder KZs eingerichtet, zumeist als Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg. Es gab 1944/45 zahlreiche Frauen-Lager, in denen v.a. Jüdinnen Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten mussten, z.B. in Mittweida, Rochlitz, Chemnitz, Siegmar-Schönau, Hohenstein-Ernstthal, Venusberg/Gelenau, Wilischthal bei Zschopau, Zschopau, und Flöha. Diese Lager wurden dann kurz vor Kriegsende in den sogenannten „Todesmärschen“ in Richtung Böhmen evakuiert, z.T. kamen die Häftlinge bis Theresienstadt oder sogar Mauthausen.

Hier in Sachsenburg könnte man deutlich machen, wie die Formen des frühen Terrors mehr oder weniger „gleitend“ von der Demokratie in die Diktatur und in die Vernichtung führten.
Und erkennen, wie wichtig es ist, den Anfängen zu wehren.

Vielen Dank!

Schreibe einen Kommentar